Es hört sich wie ein Widerspruch an: „Gebote zur Freiheit“. Wie kann ich frei sein, wenn mir Gebote vorschreiben, was ich darf und was nicht? Frei bin ich doch nur, wenn ich tun und lassen kann, was ich will. Doch wie frei sind wir wirklich, dies auch zu tun?
Eine Annäherung an die Gebote
Der Theologe Fulbert Steffensky hat im Podcast von Glaube und Gesellschaft der Uni Freiburg aus seinem 2003 erschienen Buch „Die Zehn Gebote – Anweisungen für das Land der Freiheit“ vorgelesen. Schon nur dieser Untertitel, „Anweisungen für das Land der Freiheit“ hat mich angesprochen und auch nachdenklich gemacht. Warum brauchen wir Menschen Anweisungen, damit wir in Freiheit leben können? Und habe ich die Zehn Gebote bisher als Anweisung zur Freiheit verstanden? Schwang da nicht mehr der Drohfinger mit?
In der Lesung des Dritten Gebotes, „Gedenke des Sabbats und halte ihn heilig“, mache ich einige wunderbare Entdeckungen, gerade auch für unser Hier und Jetzt.
Land der Freiheit
Die Zehn Gebote sind nicht im luftleeren Raum entstanden. Sie sind Teil der Geschichte Israels. Das zweite Buch Mose berichtet uns, wie die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit wurden. Auf dem Weg in die Freiheit, gibt Gott ihnen die Gebote für das Land der Freiheit.
„Der Sabbat war für das Volk Israel im neuen Land ein Erinnerungstag. Sie sollten nie vergessen, woher sie kamen. Aus der Sklavenschaft im fremden Land, wo sie ausgebeutet worden waren und wo ihre Kinder kein Leben kannten. (…) Und so trat man am Sabbat heraus, aus der Mühsal der Gegenwart. Die Menschen spielten das, was sie einmal sein werden: Freie im Land der Freiheit.“
Fulbert Steffensky
Auch wir leben in der Schweiz in einem Land der Freiheit. Eine Freiheit, für welche Wilhelm Tell und andere gekämpft haben. Aktuell ist die Diskussion entbrannt, dass unsere hart erkämpfte Freiheit droht, verloren zu gehen. So ganz anders ist die Freiheit, die Gott den Menschen schenkt. Damals in Israel. Aber auch heute bei uns in der westlichen Welt.
Das Land der Leistung
„Leistung kenne ich, und ich weiss, dass in meinem Umfeld Leistung belohnt wird“, schreibt Cornelia Schmid in ihrem 2021 erschienen Buch „Du sollst frei sein“. „Doch mitten in meinem Burn-out begreife ich, dass das ein menschliches System ist, das mit Jesus und seinem Neuen Bund nichts zu tun hat. Meine Leistung hat im Neuen Bund keinerlei Bedeutung. Sie interessiert Gott nicht!“
Und Steffensky doppelt nach: „Kein Sabbat mehr, keine Erinnerung, keine Unterbrechung des Rhythmus des Lebens und der Zeit. Nur noch Profit. Das ist der neue Gott, der keine Lieder mehr will, keine Erinnerung an die Freiheit, die seine Pläne nur stören könnte. Er will den Weihrauch unserer ständigen Dienstbarkeit und Verfügbarkeit. Dieser Gott löscht unser Gedächtnis aus, indem er uns immerzu beschäftigt. Es ist der Gott der Atemlosigkeit.“
Freiheit kann auch im 21. Jahrhundert ganz weit weg von uns sein. Schneller als wir denken, tauschen wir unsere Freiheit gegen Sklaverei ein. So schnell dienen wir dem Gott der Atemlosigkeit.
Aufbrechen ins Land der Freiheit
Aufbrechen meint, das Alte hinter uns zu lassen und sich dem Neuen entgegenzustrecken. Der Kern der christlichen Botschaft ist der Weg ins Land der Freiheit. Leider wurde diese Freiheit in der Vergangenheit zu stark vergesetzlicht und aus den Geboten zur Freiheit wurden Gebote der Unterdrückung. Doch beim Versuch, die Unterdrückung abzuschütteln, tappen wir immer wieder in neue Gebote der Unterdrückung, die uns klein und unfrei halten. Steffensky bringt die aktuelle Situation auf den Punkt: „Wir haben lange gelitten unter der Vergesetzlichung des Sonntags, aber sogar sie war unvergleichlich schön, gegen das neue Diktat der Unrast, der Besinnungslosigkeit und der ausgelöschten Träume. Wir haben keine Zeit mehr für Freiheitsdurst und Lebenssinn. (…) Kann man in einer solchen Kultur auf etwas anderes hoffen, als auf die eigene Stärke?“
Die Bibel erzählt uns viele Geschichten von Menschen, die genau daran gescheitert sind, dass sie ihr Leben aus eigener Stärke meistern wollten. Wie wohltuend ist da der Kontrast, dass Gott uns ein Leben in Freiheit geben will. Das Sabbatgebot macht uns deutlich, dass Vieles, wenn nicht sogar das Wesentliche, einfach geschenkt ist und nicht erarbeitet werden kann.
Geschenkte Freiheit
Gott gibt jedem Menschen Würde. Unabhängig von unserer Leistung. Das haben wir sogar mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in den Menschenrechten festgehalten. Und doch leben wir in einer Zeit, in der jeder für sein Glück selber verantwortlich ist. Da tut uns die Erzählung aus der Bibel einfach gut: Gott führt uns aus der Sklaverei in das Land der Freiheit. Er macht uns zu Königskindern und schenkt uns Freiheit.
Die grösste Sünde des Menschen ist es, zu vergessen, dass er ein Königskind ist!
Gebote zur Freiheit geben uns diese Würde zurück. Gerade auch mit dem Sabbatgebot das uns daran erinnert, dass wir Freie im Land der Freiheit sind.