Gefangen in der Machtspirale
Wer hat das nicht schon mal beobachtet: Da beginnt ein Kind zu quengeln und schon reagiert die Mutter mit Schimpfen und Drohen. “Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann gehen wir heim”. Doch das Kind weiss oftmals ganz genau, dass die Mutter jetzt nicht nachhause will. Der israelische Psychologe Haim Omer sagt, dass Strafe und Belohnung einen Versuch darstellen, den Selbständigkeitsdrang der Kinder zu kontrollieren. Doch diese Strategie führe oftmals zur Eskalation. Doch was hilft dann?

 

Die neue Autorität

Im Monatsinterview vom Februar des Elternmagazins Fritz und Fränzi sagt der israelische Psychologe und Erfolgsautor, wie erzieherische Stärke lernbar ist. Früher waren die Eltern unantastbar und Erziehung war primär das Einfordern von Gehorsam. Doch seit den Siebzigerjahren hat man sich mehr und mehr von diesem Verständnis verabschiedet. Die antiautoritäre Erziehung hat sich inzwischen aber auch als wenig hilfreich herausgestellt. Darum plädiert Omer für eine neue Autorität, die es zu erlernen gilt.
Drei Punkte an seinem Vorgehen haben mich fasziniert.

 

1. Elterliche Präsenz

Sein Leitsatz lautet: “Ich bin da und ich bleibe da”. Eltern sind wie der sichere Hafen, wo ein Kind Schutz und Geborgenheit findet, und von wo aus es zu Entdeckungen aufbrechen kann. Aber Eltern sind mehr als “Geldgeber” und “Dienstleister”, sie sind präsent und nehmen am Leben der Kinder körperlich und emotional teil. Eltern schaffen aber auch Klarheit mit Strukturen und Regeln und sie trauen dem Kind Herausforderungen zu.

 

2. Gewaltfreiheit

Omer bezeichnet den Verzicht auf Gewalt und das Erlangen der Selbstkontrolle als wichtigen Bestandteil der neuen Autorität. Es geht um Deeskalation, darum, nicht impulsiv zu reagieren und trotzdem klare Haltung zu bewahren. Wenn ein Kind frech wird oder Regeln bricht, dann verspüren wir den Drang, durchzugreifen, es anzuschreien oder zu bestrafen. Doch dabei verlieren oftmals sowohl das Kind wie die Eltern die Selbstkontrolle und empfinden dies als Schwäche. Darum braucht es neue Ideen und Wege, wenn ein Kind durch Wutanfälle seinen Willen durchsetzen will. Omer rät, dem Kind klare Ansagen zu machen und diese durch klare Zeichen zu unterstreichen. Er nennt zum Beispiel den “Sitzstreik” als eine Methode.

 

3. Hilfe einbeziehen

Viele Eltern schämen sich, wenn sie mit den Kindern oder der Erziehung überfordert sind. Doch das Problem heute ist, dass die Erziehung nur noch auf wenigen Schultern ruht. Früher, in der Grossfamilie, waren mehr Erwachsene in die Erziehung involviert und der Druck auf die Eltern war kleiner. Omer rät darum, Drittpersonen einzubeziehen. Personen, die einerseits den Rücken der Eltern stärken und anderseits dem Kind auch klar vermitteln: Du bist wichtig für mich, aber dein Verhalten ist unmöglich. Dazu müssen Eltern aber ihre Hilflosigkeit bis zu einem gewissen Grad öffentlich machen.
Als Beispiel nennt er ein Kind, das immer schreit und zwängt, wenn die Familie etwas unternehmen will, das ihm nicht passt. Die Eltern informieren die Kinder wie gewohnt, dass eine Unternehmung ansteht und zehn Minuten vor Abfahrt steht eine Drittperson als Unterstützer da. Stellt sich das Kind nun wieder quer, reagieren die Eltern nicht darauf. Es genügt lediglich die Information, dass wenn das Kind nicht mitkommen will, bleibt die Drittperson da bei ihm und der Rest der Familie bricht wie geplant auf. Indem die Eltern nicht auf die Provokation einsteigen, nehmen sie dem Kind den Wind aus den Segeln. Denn was soll es da noch schreien, wenn keiner mehr zuhört?

Diese Punkte sind gute Impulse, um die Machtspirale, die sich oftmals zwischen Kind und Eltern aufbaut zu durchbrechen. Ein Versuch lohnt sich. Erfahrungen dürfen gerne geteilt werden!