Gefühle können ganz schön toll aber auch ganz schön anstrengend sein. Besonders wenn sie bei anderen Familienmitgliedern auftreten und erst recht, wenn sie gar nicht richtig mit meinen Gefühlen übereinstimmen. Und doch, Gefühle sind die Farbtöne unseres Lebens, ohne sie wäre alles grau und einerlei.

Gefühle erkennen

Das Stimmungsflip von Pro Juventute ist ein witziges aber auch hilfreiches Tool, um mit Kindern über Gefühle ins Gespräch zu kommen. Ganze 42 verschiedene Gefühle werden da dargestellt. StimmungsflipGanz ehrlich, so im ersten Moment war mir gar nicht klar, dass es soviele unterschiedliche  Gefühle gibt. Beim Durchblättern wurde deutlich, dass dieses Stimmungsflip nicht nur etwas für Kinder ist. Im Gegenteil, uns Erwachsenen könnte es oftmals auch helfen, uns selbst besser zu verstehen und mit uns selbst besser umzugehen.
Diesen Herbst hatte ich lange das Bild “Ich bin begeistert” im Stimmungsflip aufgeschlagen. Und ich war es auch. So viel Neues und Cooles war am Laufen. Anfangs Advent blätterte ich wieder durch den Flip und blieb bei “Ich fühle mich leer” hängen. Ausgepowert. Ferienreif. Dieser Wechsel der Gefühle hat sich langsam aufgebaut und war dann doch fast über Nacht eingetreten. Ups, dachte ich, was ist da falsch gelaufen?

 

Falsche Gefühle?

Ist es falsch, wenn ich mich leer fühle? Darf ich das? Und darf ich das den anderen zumuten oder ist es besser, meine negativen Gefühle für mich zu behalten? In der Novemberausgabe der “Family” hat es ein grosses Dossier zum Thema Gefühle. Da stand zu Beginn ein Zitat von Otto Weiss: “Ist’s nicht sonderbar? Die Menschen schämen sich weit öfter, Gefühle zu zeigen, als Gefühle zu heucheln”. Puh, da habe ich ja Glück. Da darf ich meine negativen Gefühle den anderen zumuten. Aber was mache ich nun damit?
Im Grundsatzartikel schreibt Karsten Kranzmann: “Wir erleben angenehme und unangenehm Gefühle. Es geht bei Emotionen nicht um gut oder schlecht, denn jedes Gefühl hat seine Berechtigung und Bedeutung. Gefühle sind wichtige Indikatoren – sie weisen uns hin auf Bedürfnisse, warnen vor Gefahren, verstärken positive Erfahrungen oder sorgen für Aktivierung und Energie.” Konkret bedeutet das für mich nun: Ich fühle mich leer, denn ich habe eine intensive Zeit hinter mir. Das ist ok, doch nun brauche ich eine Zeit der Erholung. Und klar, momentan ist meine emotionale Tankanzeige ziemlich nahe bei leer. Darum ist es auch nicht erstaunlich, dass oftmals die Geduld mit den Kindern auf der Strecke bleibt. Das soll also nicht als Entschuldigung hinhalten müssen, sondern mein Energiemanagement beeinflussen. Denn nicht die nervenden Kinder sind zuviel, sondern ich leb(t)e über meine momentanen Kräfte hinaus.

 

Gefühle als Wegweiser

So gesehen, können Gefühle wie Wegweiser sein. Sie zeigen, wo ein Defizit besteht, wo es aktuell lang gehen könnte, damit ich wieder zum Gleichgewicht finde. Das gilt sogar für starke Gefühle wie Wut. Als kurz vor Weihnachten die Corona-Massnahmen an der Schule nochmals verschärft wurden und dadurch der Schwimmunterricht gestrichen, packte die Wut unseren Sohn und liess ihn allen Frust über das scheiss Corona rausschreien. Als Eltern sind wir in solchen Momenten gefordert, die gewaltige Kraft der Emotionen gut zu lenken. Nicht im Sinne von “das darf nicht sein” sondern zu helfen, dass der Frust so abgebaut werden kann, dass kein Schaden entsteht. Keine kaputtgeschlagenen Gegenstände oder das Ableiten auf einen Sündenbock (zum Beispiel der Überbringer der Nachricht). Übrigens auch Erwachsene schieben in der Wut schnell mal die Schuld einem andern zu. Es ist zudem genauso ungesund, die Gefühle in sich hineinzufressen wie eine Vase zu zerschlagen. Denn finden Gefühle keinen angemessenen Ausdruck, fressen sie uns inwendig auf und hinterlassen in uns einen Scherbenhaufen.

 

Gefühle: Farbe im Leben

Doch Gefühle sind nicht nur Wegweiser und Indikatoren, sie sind auch die Farbe in unserem Leben. Glück, Liebe, Begeisterung, Freude und vieles mehr lässt unser Leben zu einem wunderschönen Gemälde werden. Positive Gefühle sind wie ein herrliches Dessert. Wie ein Sonnenaufgang nach einer dunkeln und kalten Nacht. Doch wer nur noch Schokolade isst, für den wird es mit der Zeit zum Alltag und somit zum ganz normalen Durchschnitt. Es verliert den Reiz des Besonderen. So ist es auch eine Illusion, dass das Leben nur aus Glücksgefühlen bestehe. Wer glaubt, bei allem nur positive Gefühle zu haben, der verpasst das halbe Leben. Denn Freude nach einer langen Durststrecke ist um vieles intensiver. Die Abwechslung und der Kontrast machen es aus.

 

Wenn Gefühle lügen

Gefühle ersetzen nicht den Verstand und sie spielen sich gegenseitig auch nicht aus. Gefühle können falsch sein, auch wenn sie sich gut anfühlen. Manch einer war schon glücklich, weil er sich mit einer Lüge aus einer dummen Situation retten konnte. Und manche Mutter fühlt sich schuldig, weil sie den Haushalt im Chaos versinken lässt und sich eine dringend nötige Pause gönnt.
Karsten Kranzmann benutzt das schöne Bild vom “runden Tisch des Herzens”, wo sich Fühlen, Denken, Wollen und Glauben zum inneren Dialog treffen und gemeinsam einen Weg suchen. So wird Gefühl und Vernunft gleichwertig behandelt und nicht gegenseitig ausgespielt. Denn ein Mensch muss nicht Opfer seiner Gefühle sein, aber auch nicht seine Gefühle verdrängen. Sind sie doch wichtige Indikatoren im Leben und die bunten Farben im Alltag.